[REZENSION]: Vladimir Sorokin: Der Zuckerkreml
Inhalt lt. Buch: Russland im Jahr 2028: ein neues Mittelalter, geprägt von Informationstechnologie und Massenarmut. Das Moskauer Volk wird mit unerbittlicher Härte regiert, der Alltag ist geprägt von Angst und Gewalt. Eindringlich erzählt Sorokin vom Leben in einem albtraumhaften Russland und schafft eine beklemmende Utopie, die bald schon Realität werden könnte.
Vladimir Sorokin: Der Zuckerkreml
(OT: Sacharnyi Kreml; 2008); Heyne 10/2012; ISBN: 978-3-453-40690-2; Seiten; 238; Übersetzung: Andreas Tretner; Ausstattung: Taschenbuch
Der Zuckerkreml ist mehr oder weniger eine Ergänzung, Erweiterung, Fortführung dessen, was Sorokin in Der Tag des Opritschniks – einem hervorragenden, dystopischen Roman – begonnen hat. Die Schilderung eines in der nahen Zukunft angesiedelten, totalitären Russland, das sich von der Welt isoliert und Großmachtträumen nachhängt.
Der Zuckerkreml ist eine Collection recht unterschiedlicher Storys, die durch das gleichnamige Backwerk in einen Zeitrahmen gepasst werden. Mit oft bissiger Ironie schildert Sorokin das Leben im Elend, das Leben der Reichen oder die Weltsicht eines Opritschniks, einem Angehörigen jener faschistoiden Polizeimacht, die im Alltag der Menschen das Sagen hat.
Sorokin pflegt eine Sprache mit Hang zu ausgefallener und kurioser Wortwahl, die das Niveau der Geschichten hoch hält, obwohl er vor Derbheiten und Obszönitäten nicht zurückschreckt. Die Erzählungen lesen sich bis auf eine, die mehr ein kurzes szenisches Stück ist, flüssig und schnell, sind genauso erheiternd wie deprimierend und erscheinen trotz aller Utopie aus heutiger Sicht genauso realisitsch wie einst Orwell und Huxley erschienen sein müssen.
Wenn man will, kann man unschwer die Spitzen und Hiebe gegen das derzeitige … hüstel, Regime … erkennen, das in Russland an der Macht ist. Im Grunde übertreibt Sorokin in seiner Sicht der Dinge nicht sonderlich, er denkt nur konsequent weiter und greift auf Mechanismen zurück, die bekannt und oft zum Einsatz gekommen sind.
Der Zuckerkreml empfiehlt sich als Einstieg in dieses dystopische Russland, wenn man nicht unbedingt mit einem Roman beginnen will. Aber richtig köstlich und böse wird die Sache, wenn man die Storys gemeinsam mit Der Tag des Opritschniks liest. All das, was der Roman nur streifen konnte, wird in den Geschichten ausgebreitet und gemeinsam bilden diese beiden Bücher ein Panorama einer überaus unschönen Zukunft, die so utopisch gar nicht erscheint – was für eine gruselige Aussicht.
Der Zuckerkreml ist eine Sammlung bitterböser Utopien mit realistischem Kern.
Kurz gesagt:
- böse
- realistisch
- gruselig
Fazit: perfekte Ergänzung zum Roman
.