[REZENSION]: Jack Ketchum: The Lost
Inhalt: Ein heißer Tag. Ein Campingplatz im Wald. Zwei Frauen – Opfer für den Teenager Ray, der töten will. Er richtet ein Blutbad an, bei dem seine Freunde tatenlos zusehen. 1969, fünf Jahre später: Ray konnte nie überführt werden und ist nach wie vor auf freiem Fuß. Doch er lebt immer einen Schritt vom Abgrund entfernt, und seine Scheinwelt aus Drogen, Sex und krankhaftem Egoismus droht zusammenzubrechen. Was folgt, ist ein Ausbruch des Wahnsinns von albtraumhafter Intensität.
Jack Ketchum: The Lost
(OT: The Lost; 2001) Heyne HC; ISBN: 978-3-453-67551-3; 432 Seiten; Übersetzung: Joannis Stefanidis; Ausstattung: Hardcover, Schutzumschlag
Das Grauen! Das Grauen!
The Lost ist ein grauenhaft grandioser Roman. Wie schon Das Böse beruht auch diese Geschichte auf einer wahren Begebenheit. Das verstärkt das Unbehagen und die Furcht vor den Dingen, die sich auf der nächsten Seite abspielen könnten, nochmal beträchtlich. Was bei Ketchum, der ein Meister des unbehaglich faszinierenden Ekels ist, schon was heißen will.
Ketchum benutzt die Geschichte, um ein Sittenbild der geistigen Provinz zur Zeit des Vietnamkriegs und der Manson Morde zu zeichnen. Er schildert den spürbaren Verlust von Optimismus und Illusionen und macht beeindruckend klar, wie sehr die Umwelt einen Menschen beeinflussen kann. Wie sehr man selbst als optimistischer und kluger Mensch letztendlich an der Dummheit und Ignoranz der Umgebung scheitern kann. Das Erschreckende daran ist jedoch die zeitlose Aktualität – es ist auch heute in vielen Dingen nicht anders als es einmal war – und irgendwie bleibt das Gefühl, daran wird sich auch nichts ändern.
Psychopathia Sexualis
Aber der Roman ist kein wehleidiger Abgesang auf vergangene Zeiten, sondern ein mitreißendes Psychogramm des alltäglichen Psychopathen in der Nachbarschaft, des egozentrischen Soziopathen, der sich perfekt zu tarnen versteht, obwohl er überhaupt keinen Bezug zu den Gefühlen anderer Menschen aufbringt.
Ketchum führt eindrucksvoll vor Augen, wie schwer es sein kann zu erkennen, ob jemand ein gefährlicher Amokläufer ist, der nur auf den richtigen Zündfunken wartet. Wie lächerlich im Vergleich dann die gegenwärtig in regelmäßigen Abständen auftauchenden Diskussionen um Killerspiele und das hilflose, arschkriechende Gesülze ahnungsloser Politiker ist. Ein Jugendlicher braucht kein Spiel, um zum Killer zu werden, wenn er psychisch labil ist, findet er wie Ray Pye im Buch immer einen Vorwand für seine Aggression. Immer.
Natürlich ist ein Schockfaktor der Romane der drastische Detailreichtum, mit dem Ketchum das Ausrasten und die Folgen zeigt. Und das ausgeprägte Einfühlungsvermögen in Täter und Opfer. Das ist auf seine Art große Literatur. Das Buch bewegt. Ob positiv oder negativ sei dahingestellt, das ist eine persönliche Sache. Aber kalt wird es seine Leser wohl kaum lassen.
Die Übersetzung ist tadellos, die irgendwie kompakt reduzierte Sprache von Ketchum ist in Deutsch um nichts weniger wirkungsvoll als im englischen Original. Das Grauen fließt ungebremst aus den Seiten und trieft dem Leser in den Verstand. Auch das Cover ist perfekt zum Inhalt gewählt. Nicht unbedingt als Motiv, aber als Stimmungsträger und in seiner dezenten Zurückhaltung. Insgesamt ist The Lost eine sehr schöne Ausgabe, in der Reihe Heyne Hardcore bestens aufgehoben.
Jack Ketchum mag für empfindliche Gemüter ein wenig zu starker Tobak sein. Er hält mit den Schilderungen bei Grausamkeiten nicht hinterm Berg, sondern donnert dem Leser die Gewalt volle Wucht in die Fresse. Besonders seine Bücher, die auf wahren Begebenheiten beruhen, sind schwere Kost. Aber er ist ein Autor mit Einfühlungsvermögen und jemand der es versteht, Gewalt begreiflich zu machen. Es geht nicht um das Verständnis dafür – ganz im Gegenteil. Aber es geht um das Verstehen, um das woher und warum.
Kurz gesagt:
- mörderischer, extrem brutaler Thriller
- nach wahrer Begebenheit
- eine böse Perle der Literatur
Fazit: harte, absolut lesenswertes Buch
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