[REZENSION]: Paolo Bacigalupi: Biokrieg
Inhalt: Bangkok in naher Zukunft. Klimawandel und die Profitgier der internationalen Großunternehmen haben die Welt, wie wir sie kennen, für immer zerstört. Künstlich generierte Krankheiten, Bioterrorismus und Hungersnöte gehören zum Alltag, die Lebensmittelkonzerne beherrschen die globale Marktwirtschaft. Anderson Lake, Mitarbeiter der Firma AgriGen, versucht, Zugang zu thailändischen Genlaboratorien zu bekommen – weltweit die einzigen, die noch Stammkulturen unverseuchten Getreidesamens besitzen. Doch Thailands Regierung setzt alles daran, das Eindringen der westlichen Konzerne in ihr Land zu verhindern …
Paolo Bacigalupi: Biokrieg [Rezension]
Paolo Bacigalupi: Biokrieg
(OT: The Windup Girl; 2009) Heyne 03/2011; 608 Seiten; ISBN: 978-3-453-52757-7 Übersetzung: Hannes Riffel, Dorothea Kallfass; Ausstattung: Taschenbuch
So unterschiedlich der deutsche und der originale Titel auch sind – die Interpretation des deutschen Titels ist um nichts weniger zutreffend als das Original. Während sich der originale Titel auf eine der Figuren bezieht, auf das Aufziehmädchen Emiko, das Windup Girl, umfasst die deutsche Deutung mehr oder weniger den Zustand der Welt zum Zeitpunkt der Handlung.
Kurioserweise ist es bei den Titelbildern genau umgekehrt (siehe den Vergleich unten). Hier konzentriert sich Heyne auf ein Motiv, das man ohne Probleme als Emiko identifizieren kann, während die originale Ausgabe von Night Shade Books den Zustand der Welt abbildet.
Eine Anmerkung zur deutschen Übersetzung: Das war sicher eine Heidenarbeit. Es ist ein wunderbar zu lesendes Buch geworden. Tolle Sache.
Biokrieg ist eine der klügsten, durchdachtesten und detailreichsten Dystopien, die man sich nur vorstellen kann. Es ist ein phantastisch buntes und brutales Buch über eine Zukunft, in der die Welt schon einen Schritt über den Abgrund hinaus gemacht hat. Eine Welt, die sich immer schneller verändert, in der alles Leben Krieg ist und in der die Menschheit an ihrer eigenen Gier und Skrupellosigkeit eigentlich schon gescheitert ist, es sich nur noch nicht eingesteht.
Bacigalupi hat mit diesem Buch alles an Preisen abgeräumt, was die Science Fiction Literatur im Angebot hat und was über das Genre hinaus bekannt ist: Den John W. Campbell Memorial Award, den Locus Award, den Hugo, den Nebula. Und das mit seinem ersten Roman!
Biotechnologie als Segen und Fluch, die Skrupellosigkeit und der Machteinfluss von global agierenden Konzernen, die Korruptheit von ganzen Staatssystemen und die Menschen, die zwischen die Räder geraten. Die scheinbare Sicherheit durch die Jahre, die diese Geschichte in der Zukunft liegt, täuscht. Es lassen sich unglaublich viele Verbindungen zu gegenwärtigen Entwicklungen ziehen.
Die Verlockung, sich zwischendurch mit der flachen Hand auf die Stirn zu klatschen und aufgeregt auf die Dinge zu deuten, die ihren Ursprung im Jetzt haben, ist riesengroß. Und man entwickelt einen gewissen Faible für eine Zerstörung von global agierenden Konzernen, plädiert still für die Zerschlagung von Gentechnik Unternehmen, die ihre Hände auf das Saatgut legen – Konzerne wie Monsanto kommen da in den Sinn.
Man möchte die Manager und Lobbyisten solcher Konzerne und die beeinflussbaren Politiker in den tiefsten Kerkern verrotten sehen, so überaus realistisch erscheint die Vorschau auf Dinge, die in dieser Form oder ähnlich kommen werden.
Abgesehen davon ist Biokrieg ein überaus spannender und komplexer Roman, der Konzentration erfordert und dafür reichlich belohnt. Das Buch hat in seiner Qualität Seltenheitswert. Slums, Hungersnöte, Rebellionen und Revolten, der Zusammenbruch von Staaten, Flüchtlingswellen unvorstellbarer Dimensionen, Rassismus, Gier, Neid, Scheitern. Nichts, was Bacigalupi schreibt, entsteht um des Effekts willen, sondern als Konsequenz der Entwicklung und der Logik der Geschichte.
Das Buch ist sich selbst treu, blickt – für einen durchschnittlichen, mit den gängigen Klischees befüllten Europäer – tief in die Gedankenwelt Asiens und entwickelt aus der Geschichte heraus eine Zivilisation, die sich auf Mechanik anstelle von Brennstoffen stützt und die gegen die Folgen von ihr selbst heraufbeschworenen Katastrophen kämpft, eine Zivilisation, in der vieles, was für uns normal ist, Geschichte und Vergangenheit darstellt.
Biokrieg ist ein extrem gelungenes Buch, das sowohl als Dystopie oder als Wissenschaftsthriller funktioniert, eine Vorschau auf eine Zukunft, die niemand erleben möchte und die doch so grauenhaft real und wahrscheinlich erscheint. Das die Geschichte in Thailand spielt, tut nichts zur Sache. Jeder Schritt, jede Handlung hat Auswirkungen auf die ganze Welt.
Kurz gesagt:
- grenzgenialer Roman
- erschreckend realistisch
- äußerst spannender Thriller
Fazit: absolute Pflichtlektüre
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