[REZENSION]: Andreas Gruber: Der fünfte Erzengel
Inhalt: Verlassene Herrenhäuser, Nervenheilanstalten und Friedhöfe – Andreas Gruber weiß die klassischen Sujets der Horror-Story geschickt in ein modernes Umfeld einzupassen. Nicht auf den harschen Effekt kommt es ihm an, sondern auf das subtile Grauen, das sich allmählich der Herzen seiner Leser bemächtigt, sich durch die Hintertür in ihre Vorstellungswelt einschleicht und ihnen zu später Stunde den Angstschweiß auf die Stirn treibt.
Andreas Gruber: Der fünfte Erzengel
Shayol 2004; ISBN: 3-926126-39-6; Seiten: 148; Ausstattung: Paperback, Klappbroschur,
Ach, ist das schööön. Die Begeisterung, die Ghost Writer in mir geweckt hat, wurde auch in den schon vor längerer Zeit erschienen Erzählungen am köcheln gehalten. Teufel auch, wenn dieser Kerl aus Niederösterreich nicht ein Meister der bitterbösen, stimmungsvollen Erzählungen mit Biss ist, dann weiß ich auch nicht.
Neun Erzählungen und ich kann mich nicht entscheiden, was als Höhepunkt anzusehen ist: zuerst hätte ich eindeutig In Gedenken an meinen Bruder genannt, eine extrem stimmige, ausgeprägt düstere Geschichte, über die ich hier nichts sagen werde – selber lesen! Toll! Der fünfte Erzengel hätte allerdings auch ein Anrecht als Höhepunkt genannt zu werden.
Nicht weniger einen Spitzenplatz verdient auch die überraschend apokalyptische Geschichte Corpus Laceraris, die ihren Anfang als das Ende eines Mannes nimmt und … sagen wir, etwas ausartet. Und als Hommage an den wunderbaren Edgar Allan Poe ist Die Testamentseröffnung ein Hit. Das alte Wien, Droschken, der Schrecken eines Testaments, Kutscher, Friedhöfe, die Ängste des Herrn Poe. Sehr schön und stimmig und die Anflüge von Lokalkolorit sind … ähm, geil.
Einen besonderen Stein im Brett bei mir hat Der Anthropopag. Die vollkommen nachvollziehbare und konsequente Paranoia mit ihrer eigenen Logik (bin ich irre, wenn ich da mitfühlen kann?) erinnert mich an eine ähnlich erzählte und thematisch verwandte Geschichte, die mir vor längerer Zeit begegnet ist (und deren Titel mir gerade entfallen ist). Egal. Der Anthropopag ist eine coole Story, deren letzter Satz mir Rätsel aufgibt. Was hat er denn … psst.
Das Treppenhaus, das … ha – genau, nein … besser nichts verraten. Ich weiß, woran ich denke und das bleibt mein Gedanke. Die Geschichte ist kurz und knackig und sitzt punktgenau. Da wird nicht gespoilert. Gehört gelesen! Und jetzt höre ich besser auf, mich durch die Titel zu arbeiten, weil es keinen Sinn macht, wenn ich nichts verraten kann und das wäre böse. Meine Entschuldigung geht an die Erzählungen, die hier nicht erwähnt werden – ihr seid Klasse, ehrlich!
Wer so wie ich dieses Bändchen bisher übersehen hat oder sich nicht überwinden konnte, sei hiermit zum Erwerb ermuntert – das Buch gehört neben Ghost Writer in die Sammlung eingereiht. Andreas Gruber ist beneidenswert gut darin, Stimmungen und Pointen unter einen Hut zu bringen.
Hat irgendwer noch den wunderbaren John Carpenter Film The Fog in Erinnerung? Das Original, nicht das besch… Remake – sondern den alten Streifen mit Jamie Lee Curtis. Ganz am Anfang des Films sehen wir eine Gruppe Jugendlicher um ein Lagerfeuer und den alten Seemann, der ihnen eine gruselige Geschichte erzählt. Diese Szene ist sehr sorgfältig komponiert: Das einsame Lagerfeuer, man sieht nicht, was hinter den Flammen verborgen liegt, starker Wind weht, es ist stockdunkle Nacht, die raue Stimme des Seemanns, die von John Carpenter komponierte Musik, all das wirkt – volle Wucht. Verdammt gruselig, diese Szene.
Andreas Gruber braucht nur seine Worte, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Ein Meister der Erzählung.
Kurz gesagt:
- stimmungsvoll, pointiert
- abwechslungsreich, witzig
- bitterböse, düster
Fazit: gehört gelesen und in die Bibliothek
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