Gastbeitrag von HANS LANGSTEINER
Hans Langsteiner, freier Filmjournalist (u.a. Bühne), Schöpfer der legendären ORF-Radiosendung Synchron – Das Filmmagazin. Der gelernte Jurist ist eine Fundgrube filmischen und literarischen Wissens. Er hegt und pflegt Affinitäten zu etlichen Genres – neben der Science Fiction zum Beispiel auch Hammer-Filme und Italo-Western, zur Kriminalliteratur, Karl May und James Bond und, und, und …
Nachfolgender Beitrag entstand ursprünglich zum 100. Todestag von Robert Kraft im Mai 2016 und wurde vom Autor für diese Publikation sachte adaptiert.
Das (c) copyright des Textes liegt ausschließlich bei Hans Langsteiner. Mit freundlicher Genehmigung.
Beiträge: Der einzig wahre James Bond / Robert Kraft, der Abenteurer / Dietmar Dath: Niegeschichte /
Der Abenteurer
Zum 100. Todestag von Robert Kraft
Hans Langsteiner
Im Mai 2016 jährte er sich zum 100. Mal, der Todestag von Robert Kraft. An sich ein Grund zum Feiern, doch anders als bei Karl May, dessen 100. Todestag 2012 mit einem aufwendigen „Karl-May-Jahr“ begangen wurde, hielten sich die Feierlichkeiten für den deutschen Kolportageautor in engen Grenzen. Das ist schade, denn Kraft kann enorm viel Lesespaß machen. Dennoch ist er bis heute ein Fall für Eingeweihte und Spezialisten geblieben.
Dabei hat es nie an Versuchen gefehlt, an Krafts Texte neu zu erinnern. Allein der Karl-May-Verlag hat gleich zwei Anläufe unternommen, Kraft unters Volk zu bringen: einmal im Rahmen der „Roten Reihe“ in den 1960erjahren und dann als „Ustad-Verlag“ in Form kleinformatiger Einzeltitel.
Dazu kamen immer wieder mutige Vorstöße kleiner und kleinster Verlage, von der „Edition Corsar“ über die Heft-Reprints des österreichischen „Nostalgie-Drucks“ unseres Karl Ganzbiller bis zu jüngsten Veröffentlichungen des Lüneburgers Dieter von Reeken. Besonders engagiert bemüht sich um Robert Kraft die deutsch-österreichische „Edition Braatz & Mayrhofer“, in deren Rahmen nicht nur Primärtexte, sondern auch zwei umfangreiche Bibliographien und die erste deutschsprachige Robert-Kraft-Biographie überhaupt erschienen sind.
Als „deutscher Jules Verne“ wurde Kraft ebenso beworben wie als „zweiter Karl May“ – beides mit einer gewissen Berechtigung, auch wenn Kraft sich von diesen ungleich populäreren Autoren doch in vieler Hinsicht unterschied. Ein Unterschied sticht besonders ins Auge: Während May und Verne ihre Abenteuer größtenteils am heimischen Schreibtisch erfanden, konnte Kraft aus einem Leben schöpfen, das als „abenteuerlich“ zu bezeichnen noch untertrieben ist.
Robert Kraft wird am 3. Oktober 1869 in Leipzig als viertes von fünf Kindern geboren. Sein Vater ist ein durchaus wohlhabender Weinhändler, der auch eine kleine Ausschank betreibt. Keine schlechten Startbedingungen für den kleinen Robert, sollte man meinen, allein: es kommt ganz anders. Krafts Eltern lassen sich nach der Geburt ihres fünften Kindes scheiden und der Knabe wird einem wenig verständnisvollen Kindermädchen überantwortet.
Von früher Jugend an stottert Robert Kraft und leidet auch an einem S-Fehler – aus damaliger Sicht kein Wunder, dass er in der Schule gehänselt wird. Wie unglücklich diese Kindheit verlaufen sein muss, wird deutlich, als Robert mit zehn Jahren einen Selbstmordversuch mit Arsen unternimmt, der glücklicherweise scheitert.
Mit vierzehn reißt Kraft das erste mal, mit sechzehn das zweite mal von daheim aus – diesmal verbringt er immerhin schon vier Monate in ungebundener Freiheit, bevor er in der Technischen Staatslehranstalt in Chemnitz eine Art Ausbildung beginnt. Mit zwanzig gelingt dem ungestümen jungen Mann endgültig die Flucht: Von Hamburg aus schifft er sich als blinder Passagier nach London ein, wird dort von der Heilsarmee rekrutiert und segelt als Leichtmatrose nach New York.
Dort startet er eine Weltreise mit denkbar ereignisreichen Stationen: Schmuggler in Nordamerika, Pelzjäger in Kanada, Abenteurer in Australien, Indien und im Mittelmeerraum. In Konstantinopel wird Kraft mit Cholera ins Spital eingeliefert, bevor er zunächst einmal seinen Wehrdienst absolvieren muss.
Dabei hat Kraft indes Glück, denn er bekommt einen Posten als Bibliothekar zugeteilt und schlingt nun im Lauf von drei Jahren, nicht unähnlich dem jungen Karl May, alles an Gedrucktem in sich hinein, dessen er habhaft werden kann. Am Ende der Wehrdienstzeit wartet ein Abenteuer, das Robert Kraft in die Zeitung bringt: Er durchschwimmt den Jadebusen (immerhin an die drei Kilometer in der kalten Nordsee) und wird von Kaiser Wilhelm II. in Audienz empfangen.
Kurz hält sich Kraft dann in Leipzig auf, bevor er sich als Matrose nach Port Said einschifft und ein halbes Jahr als Wüstenjäger in Libyen verbringt. Doch das Feuer der Jugend ist allmählich aufgezehrt: Kraft lässt sich in London nieder und beginnt seine Laufbahn als Schriftsteller. Es folgen Heirat und die Übersiedlung nach Leipzig. Die Jahrhundertwende sieht Kraft wieder in London, 1902 verbringt er ein Jahr in Monte Carlo, doch dann siegt endgültig die bürgerliche Ruhe. Ab Ende 1903 lebt Robert Kraft in verschiedenen Städten in Deutschland, wo er 1916, erst 47jährig, stirbt.
Vieles vom diesem bewegten Leben ist in Krafts Bücher eingegangen.
Seine Heilsarmee-Zeit findet sich in „Fünf Wochen bei der Heilsarmee“ wieder, den Aufenthalt in Monte Carlo hat der Autor in einer Novellensammlung namens „Die Roulette“ verewigt, und den Weg zum Koloportageschriftsteller beschrieb Kraft im autobiographisch grundierten Roman „Das Glück des Robin Hood“.
Zuallererst aber, und dies ist auch einer der Hauptunterschiede zu Karl May, hat Kraft immer wieder seine Jahre auf hoher See thematisiert. Während Karl May seine Abenteuer in Wüste und Steppe ansiedelte, ist Kraft eindeutig ein Dichter des Meeres.
Schon die Titel seiner bekanntesten Bücher legen davon Zeugnis ab: „Schnelldampfer Mikrokosmos“ (Untertitel: „Realistische Bordnovellen“!), „Der Unterseeteufel“, „Die Vestalinnen“, „Das versunkene Goldschiff“ und vor allem „Wir Seezigeuner“. Allein Krafts dreizehn Lieferungsromane füllen an die 35.000 Druckseiten, dazu kommen noch kürzere Romane und Erzählungen.
Es sind atemlose, in einem an gesprochene Umgangssprache erinnerndem Stil verfasste Abenteuerromane, die unbekümmert Einfall an Einfall reihen, sich um äußere Wahrscheinlichkeit wenig bis gar nicht kümmern und gerade deshalb den Leser so mitreißen können. Bei Robert Kraft stürmt alles durcheinander: Abenteuer- und Kriminalroman, Wildwestromantik und Humoreske, Seestück und Science Fiction. Nicht ohne Grund hat man Robert Kraft ja auch als „deutschen Jules Verne“ bezeichnet.
Auch bei Kraft treten Handlungsträger immer wieder abenteuerliche Weltreisen an – in einem Fall wird sogar, ganz wie in Vernes „80 Tagen“, eine indische Witwe aus drohendem Flammenmeer gerettet – und in zahlreichen Details finden sich, vom Bild-Telephon bis zur Digitaluhr, heutige Technik-Erfindungen vorweggenommen. Auch seinen Hang zum Okkultismus hat Kraft in seinen Texten ausgelebt. In Krafts letztem, unvollendetem Lieferungsroman „Loke Klingsohr“ werden sogar die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt…
„Loke Klingsor“ ist auch ein illustratives Beispiel für die Unbekümmertheit, mit der sich Kraft bei bewährten Vorbildern bedient hat; im Fall von „Klingsor“ ist es die (kürzlich wieder aufgelegte) Romanreihe um einen gewissen „Doktor Nikola“, einen Vorläufer des bekannteren „Dr. Fu Man Chu“, erdacht vom Australier Guy Boothby. Der dämonische Klingsor und sein nicht minder dämonischer Vorgänger Nikola gleichen einander nicht nur bis aufs Haar, sondern auch bis auf die schwarze Katze auf der Schulter…
Überhaupt: Was hat Kraft nicht alles in seine üppig wuchernden Romanwelten eingearbeitet! Golem-Sage und Nibelungen-Mythos, den Fliegenden Holländer und den Ewigen Juden, dazu Reales wie den Untergang der „Titanic“, die Geheimnisse der Osterinsel und den amerikanischen Bürgerkrieg (den „Seezigeuner“ Jansen unbeabsichtigt auslöst!).
Dabei ist Kraft in gewisser Hinsicht ideologisch durchaus progressiv zu nennen. Okay, bei der Beschreibung exotischer Randfiguren rutschen ihm schon mal rassistische Klischees durch („Schacherjude“ – in der Bearbeitung des Karl-May-Verlages zu “Schacherer“ entschärft…), aber damit ist Kraft nicht alleine, das lag wohl auch am damaligen Zeitgeist. Dafür ist Kraft alles anders als ein Chauvinist, im Gegenteil: Frauen spielen in seinen Büchern so dominante Rollen, dass der Schriftsteller fast als früher Feminist durchgehen könnte!
In den „Vestalinnen“ macht sich eine Gruppe abenteuerlustiger Amazonen auf Weltreise, im „Neuen Lederstrumpf“ geht es mitnichten um einen Indianer, sondern um zwei Konkurrentinnen, die auf Grund einer Wette um die Erde radeln, und in „Atalanta – Die Geheimnisse des Sklavensees“ ist die Titelheldin (!) eine so starke wie kluge Indianerin, die als Einzige um einen legendären Schatz weiß. Hinter dem ist ein undurchsichtiger Chirurg her, doch Graf Arno von Felsmark steht Atalanta hilfreich zur Seite…
Selbst dort, so Männer die deklarierten Hauptfiguren abgeben, treten starke – und erotisch durchaus selbstbewusste – Frauen auf. „Wir Seezigeuner“ handelt beispielsweise davon, wie sich der Abenteurer Richard Jansen von einer reichen Erbin als Kapitän anheuern lässt. Bereits auf Seite 150 (von mehr als 3000!) wird er ganz offen ihr Geliebter – eines von zahlreichen Indizien für den entspannten (und in der Kolportageliteratur durchaus ungewöhnlichen) Umgang, den Robert Kraft mit dem damaligen Tabu-Thema Sex pflegt. Der Beziehung entspringt im Lauf des Romans ein Kind, und an einer Stelle erörtert der lebenslustige Jansen die Möglichkeit, im Lauf der Jahre weitere Kinder in die Welt gesetzt zu haben:
„Leicht möglich – besonders wohl da an der Ostküste dieses afrikanischen Erdteils mochte ich etliche halbschwarze Kinder nackt mang die Brombeeren herumlaufen haben – vielleicht mehr noch an der Westküste Südamerikas – nicht minder in – in.. na, lassen wir das ruhen“ („Wir Seezigeuner Bd. 1/S. 379).
Man stelle sich eine ähnliche Überlegung bei Kara Ben Nemsi oder Old Shatterhand vor – undenkbar.
Die Stelle belegt noch etwas anderes: Krafts Helden verkörpern – anders als Mays Identifikationsfiguren – alles andere als unfehlbare Ideale. Mit der einzigen Ausnahme des „Detektivs Nobody“ im gleichnamigen Kolportageroman, der in der Tat dem Übermenschen-Klischee sehr nahe kommt, schildert Kraft Menschen voller Schwächen, Fehler und Selbstzweifel. „Ich habe mich nicht mit Ruhm bekleckert“ bekennt der erwähnte Richard Jansen einmal, und als er sich bei der Enterung eines feindlichen Schiffes in eine Art Blutrausch steigert, entfährt ihm über seine Kameraden der entlarvende Satz:
„Mochte der oder jener ertrinken, ich kümmerte mich den Teufel darum“ („Wir Seezigeuner“ Bd. 1, S. 158).
Die erwähnte Bearbeitung des Karl-May-Verlages, wo der „Seezigeuner“-Roman, von fünf auf vier Bände verschlankt, im Rahmen der „Roten Reihe“ erschien, schwächt diese heikle Stelle übrigens deutlich ab. Dort bedenkt Jansen seine Kameraden immerhin mit dem Satz „Die würden sich selber helfen“…
Resümee: An Autoren wie Jack London oder auch Karl May kommt Robert Kraft literarisch wohl nicht heran. Seine Welt bleibt die der Kolportage, und er selbst hat auch – im Gegensatz etwa zu Karl May und seinen „Edelmenschen“-Träumen – nie mehr gewollt. Gute Unterhaltungsliteratur in seriösen Verlagen zu publizieren war Krafts ganzer Ehrgeiz. Seine schier endlosen Lieferungs- und Abenteuerromane erinnern an Serien wie Lok Mylers (i.e. Alfred Paul Müllers) „Sun Koh“, Hans Warrens (i.e. Wilhelm Reinhards) „Rolf Torring“ und die Schriften eines Walter Kabel. Was man durchaus als Kompliment lesen kann. Lesen sollte man diesen Robert Kraft jedenfalls, eines sind seine Texte nämlich nie: langweilig.
Verlag DvR – Dieter von Reeken: Auf Nachdrucke teils unbekannter und obskurer, klassicher Werke spezialisierter Verlag, der mit kleinen Auflagen arbeitet. Ausgeprägt bibliophil, historisch akkurat und werkgetreu. DvR hat zwei makellose Werkausgaben von Atalanta und Loke Klingsor herausgebracht – hier. Generell ist das Programm eine Schatzkammer des Obskuren, Vergessenen und der Ersterscheinungen.
Editon Braatz & Mayrhofer: Kooperation zweier Kraft-Liebhaber. Bemüht um das Werk von Robert Kraft (u.a.), produziert Sammlerausgaben in kleinen Auflagen. Auf der überraschend aktiven Website gibt es auch einige Serien gratis, zum Teil nur als .pdf, zum Teil auch als .epub.
Auswahl verschiedener Ausgaben:
Robert Kraft: Im Panzerautomobil um die Erde … Taschenbuch bei Amazon …
Robert Kraft: Wir Seezigeuner: Paperback bei Amazon … Bd. 1: Die Sturmbraut … Pb … Bd. 2: Der Kommodore … Pb … Bd. 3: Blockadebrecher … Pb … Bd.4: Der Klabautermann … Pb …
Robert Kraft: Wir Seezigeuner: Vollständige, illustrierte Ausgabe als Kindle Edition bei Amazon … für 49 Cent!!
Robert Kraft: Die Vestalinnen: Paperback bei Amazon … Band 1 … Band 2 … Band 3 … Band 4 … Band 5 …
Robert Kraft: Die Vestalinnen: vollständige Ausgabe als Kindle Edition bei Amazon … für 49 Cent!!
Robert Kraft: Detektiv Nobody: Paperback bei Amazon … Bd. 1: Pb … Bd. 2: Pb … Bd. 3: Pb … Bd. 4: Pb …. Bd. 5: Pb … Bd. 6: Pb … Bd. 7: Pb … Bd. 8: Pb … Bd. 9: Pb … Bd. 10: Pb … Bd. 11: Pb …
Robert Kraft: Detektiv Nobody – Komplette Ausgabe in 8 Bänden als Kindle Edition (gratis!) Bd. 1 … Bd. 2 … Bd. 3 … Bd. 4 … Bd. 5 … Bd. 6 … Bd. 7 … Bd. 8 …
Der Beitrag [LITERATURWISSEN]: Robert Kraft, der Abenteurer wurde am 07.12.2017 erstmals auf Kultplatz.net veröffentlicht …
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