GASTBEITRAG von ROBERT CHRIST
Vorbemerkung: Robert M. Christ, geb. 1947, ist seit Jahrzehnten im Fandom umtriebig und von dort nicht wegdenkbar. Beschäftigt sich seit den frühesten Jahren mit SF-Autoren und Künstlern, war in den 1980er und 1990er Jahren aktiver Gestalter von Super-8 Filmen, später Video, für u.a. die Wiener SF-Gruppe. Er ist bei den Treffen der SFGW ↗ ebenso anzutreffen wie aktiv beim Verein der Freunde der Volksliteratur. Für deren Vereinsmagazin verfasst er seit Jahren in Abständen Beiträge und Artikel. Eine Auswahl davon soll an dieser Stelle einem größeren Publikum präsentiert werden.
Beiträge von Robert Christ: über Fritz Leiber – über Clark Asthon Smith – über Gustav Meyrink – über Alfred Bester – über Dashiell Hammett – über Captain Future – über Virgil Finaly – über die Weird Tales – über Lonati – über Hannes Bok – über Der Orchideengarten – über Jack Williamson – über Johnny Bruck – über Margaret Brundage … weitere Beiträge folgen …
Jack Williamson
Ein Pionier der Science-Fiction Literatur
Von Robert M. Christ
In einem Zeitraum von etwa 70 Jahren gelang es ihm als Pionier jener neuen aufstrebenden Science-Fiction Literatur, einer ihrer populärsten Autoren zu werden und eine Anzahl von Romane und Kurzgeschichten zu schreiben, welche durchaus als bedeutende Klassiker im Bereich der SF, Fantasy und Phantastik bezeichnet wurden.
Er verhalf wie wenig andere Autoren der amerikanischen SF-Literatur zu akademischer Anerkennung, was dazu führte, dass eine Reihe von Universitäten bis zum heutigen Tag ihren Studenten Vorlesungen über Science-Fiction anbieten. Sein Name: Jack Williamson.
John Stuart „Jack“ Williamson wurde am 29. April 1908 als ältester von vier Kindern in Bisbee, einer kleinen Stadt in Arizona, geboren. Zu einer Zeit, als gelegentlich noch Indianerüberfälle stattfanden und Planwagen noch das gebräuchlichste Transportmittel waren. Williamson verbrachte seine Kindheit auf einer Farm in Texas.
Um einen Neuanfang zu versuchen, zog die Familie Williamson 1915 mit Pferde und Wagen nach New Mexico. Nach Anfangsschwierigkeiten entstand eine Ranch, die noch heute existiert. Das Leben in den 1910er Jahren in jener Region war hart und gefährlich und erinnerte gelegentlich an den Wilden Westen nach dem Bürgerkrieg.
Sehr bald erkannte der junge Williamson, dass er weder Farmer noch Rancher werden wollte, und bildete sich neben der Schule in der örtlichen Bibliothek autodidaktisch weiter, was ihn rasch zum Außenseiter werden ließ. 1925 besuchte er die Richmond High School in New Mexico und studierte an der West Texas State University in Canyon sowie an weiteren Hochschulen in New Mexico und Colorado.
1926 entdeckte Williamson Amazing Stories, eines der frühen Pulp-Magazine, das fast ausschließlich Science-Fiction-, Fantasy- oder Horrorstorys veröffentlichte und beschloss, als Sammler und Fan selbst Schriftsteller zu werden.
Er besorgte sich einige Broschüren zum Thema Wie werde ich Schriftsteller, lieh sich von seinem Onkel eine Schreibmaschine und begann seien ersten Kurzgeschichten zu schreiben.
Wo er konnte, las er Autorenprofile und Kurzbiografien, um zu lernen, wie andere zu erfolgreichen Schriftstellern geworden waren. 1928 veröffentlichte Amazing Stories in ihrer Dezember-Ausgabe Jack Williamsons erste Kurzgeschichte The Metal Man, für die er 25 Dollar erhielt. Das war der Auftakt einer beispiellosen Karriere, die sich über unglaubliche 78 Jahre erstreckte.
Der frühe Williamson wurde von Autoren wie Abraham Merritt (1884-1943) stark beeinflusst und schrieb recht ausufernde, von traumähnlichen Sequenzen geprägte Phantastik. Der Arzt und heute vergessene Autor Miles J. Breuer (1889-1947) nahm sich des jungen Williamson an, und verfasste gemeinsam mit ihm 1930 The Birth of a New Republic und The Girl of Mars.
Williamson lernte es, seinen Erzählstil zu straffen und logisch einem gut durchdachten Plot zu folgen – um auf den Punkt zu kommen. Im gleichen Jahr verkaufte er den Roman The Green Girl (Das grüne Mädchen) an Amazing Stories und erhielt, angeblich, die für die damalige Zeit fürstliche Summe von 200 Dollar.
In den 1930er Jahren gehörte Williamson zu den beliebtesten Autoren der zeitgenössischen Pulp-Magazine. Er schrieb SF, Fantasy und Horror-Stories, wie beispielsweise die beiden längeren, bemerkenswerten Novellen Wolves of Darkness und The Moon Era.
Er kann zu Recht neben seinen SF- Schriftstellerkollegen Murray Leinster, oder E. E. Smith und Edmond Hamilton, mit dem er in einer lebenslangen Freundschaft verbunden war, als Mitbegründer der Space Opera bezeichnet werden.
Trotz seines Arbeitseifers kam er wegen der durchschnittlich niedrigen Entlohnung seiner Schriftstellerei finanziell nur schlecht über die Runden.
Dennoch entstanden in diesen Jahren einige Klassiker der Science-Fiction. Dazu gehört vor allem die Story um eine Weltraumlegion, in denen Williamson die Abenteuer unerschrockener Weltraum-Musketiere erzählt, in Anlehnung an Alexandre Dumas. The Legion of Space (Wächter des Alls/Die Weltraumlegion) erschien erstmals 1934 als sechsteilige Serie im Magazin Astounding.
Wegen des großen Erfolges setzte Williamson in den folgenden Jahren die Serie fort – 1936 mit The Cometeers (Der Geist der Legion), und 1939 mit One Agains the Legion (Der einsame Weg) mit James E. Gunn.
1983 wurde die Serie mit dem Roman The Queen of the Legion (Die Königin der Legion) beendet.
Im gleichen Zeitraum erschien 1938 der Roman The Legion of Time (Die Zeit-Legion). Eine Zivilisation in der Zukunft schickt ihren Agenten in die Vergangenheit, mit dem Auftrag, eventuelle Gefahren für die künftigen Nachfahren zu beseitigen. Diese Story wurde mit dem Roman After World`s End (Jenseits von Raum und Zeit) 1939 fortgesetzt.
Trotz seiner Popularität hatte Williamson Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Selbst eine Psychoanalyse, der er sich in Topeka unterzog, linderten keinesfalls seine Beschwerden.
Nach einem Jahr Psychoanalyse meldete sich Williamson 1942 zur US Air Force und wurde zum Ende des Krieges gegen Japan im Pazifik als Wetterbeobachter eingesetzt. Abgesehen von einem kurzen Auslandsaufenthalt während des 2. Weltkrieges, verließ Williamson niemals die USA. Im Geiste durchstreifte er allerdings die Milchstraße, erlebte die phantastischsten Abenteuer und bewahrte sich stets das, was den Reiz der Science-Fiction der frühen Jahre ausmachte, den Sense of Wonder, jenes Staunen angesichts der Wunder einer neuen faszinierenden Welt.
Nach Kriegsende begegnete er seiner Jugendliebe Blanche Slaten, heiratete sie 1947 und führte mit ihr eine glückliche Ehe, bis sie 1985 bei einem Autounfall starb.
In den 1940er und 1950er Jahren schrieb Williamson eine Reihe von SF, Fantasy und Horror Romane wie etwa Realm of Wizardry (Die Zauberinsel) 1940, With Folded Hands,1947, Darker Than You Think (Herrscher der Nacht/Geschöpfe der Finsternis) 1948, Dragon’s Land (Die Dracheninsel) 1951, Star Bridge (Brücke zwischen den Sternen), mit James E. Gunn, 1955, Seetee Ship (Anti-Materie), unter Will Steward, 1949, Seetee Shock (Anti-Matrie-Bombe) 1950, The Dome Around America/Gateway to Paradise (Schutzfeld über Amerika/Die Energie-Kuppel) 1953.
Mit dem Roman The Humanoids veröffentlichte Jack Williamson 1949 seinen berühmtesten Roman und schuf einen der bedeutendsten Klassiker der SF-Literatur, welcher 1952 unter dem Titel Wing 4 als Band 2 in der legendären Reihe Rauchs Weltraumbücher erstmals in deutscher Sprache erschien und in den darauffolgenden Jahrzehnten mehrmals neu aufgelegt wurden.
Der Roman erzählt das Schicksal von Menschen und ihren menschenähnlichen Robotern, deren erdrückende Fürsorge zu einer Versklavung ihrer Schöpfer zu werden droht. 1980 schrieb Williamson die langerwartete Fortsetzung unter dem Titel Das Wing 4-Syndrom.
Für die US-Zeitschrift New Yorker Sunday News schrieb Williamson als Textautor, in Zusammenarbeit mit Lee Elias als Zeichner, für eine SF-Comicserie Beyond Mars (1952-1955), lose basierend auf seinen Roman Seetee Ship.
Nach dem II. Weltkrieg brach das Ende für viele Pulp-Magazine an, und das Taschenbuch begann seinen Siegeszug. Romane wurden verstärkt publiziert und besser bezahlt.
Williamson gelang der Wechsel zum Taschenbuch. Seine Romane, mehr als ein Dutzend davon gemeinsam mit Freund und Kollege Frederik Pohl (1919-2013) zwischen 1954 und 1991 verfasst, verkauften sich gut.
Zu den Büchern dieser Zeit gehörten unter anderem die Jim Enden-Unterwasser-Trilogie, die Starchild-Trilogie, die Saga of Cuckoo, Land‘s End und Singers of Time (Die Sänger der Zeit).
Nachdem sich Williamsons finanzielle Lage im Laufe der Jahre deutlich verbesserte, begann er nachzuholen, was er in den früheren Jahren versäumt hatte und ging auf die Universität.
Er studierte Englisch an der Eastern New Mexico Universität in Portales, New Mexico, legte die Prüfung zum Master of Arts ab und gehörte von 1960 bis 1977 dem dortigen Lehrkörper an.
Er promovierte 1964 an der University of Colorado über die frühen Arbeiten des Schriftstellers H. G. Wells. Williamson half mit, einer der größten SF-Sammlungen von über 30.000 Büchern und Magazinen zusammenzutragen; sie trägt den Namen Jack Williamson Science-Fiction Library.
Obwohl das Alter allmählich seinen gesundheitlichen Tribut forderte, legte Williamson ab den 1960er Jahren erfolgreich regelmäßig neue Romane vor. Darunter die Romane The Trial of Terra, 1962, Bright New Universe, (Der galaktische Kontakt) 1967, Trapped in Space (Die Weltraumfalle) 1968, The Moon Children (Die Mondkinder) 1972, The Power Of Blackness (Die Macht der Dunkelheit) 1976, Firechild (Aus Feuer geboren) 1988, Demon Moon, 1984, The Black Sun, 1997, The Sillicon Dagger, 1999, Terraforming Earth (Die Endzeit-Ingenieure) 2001, welche auch von diversen Literatur-Kritikern positiv zur Kenntnis genommen wurden.
So verwundert es nicht, dass Williamson fast jede Auszeichnung im Bereich der SF-Literatur erhielt. Darunter den Hugo Award, den World Fantasy Award, den Campbell Award und Nebula Award. Zudem ehrten ihn die Science-Fiction Writers of America als zweiten Schriftsteller nach Robert A. Heinlein mit dem Titel Grand Master. Als Literaturforscher wurde Williamson 1973 mit dem Pilgrim Award ausgezeichnet.
Das 21. Jahrhundert erlebte einen weiterhin aktiven Jack Williamson. Seine Autobiografie Wonder Child: My Life in Science-Fiction von 1984, musste er für eine Neuauflage erheblich erweitern. 2005 erschien sein letzter Roman The Stonehenge Gate.
Im Mai 2006 begrüßte Williamson den SF-Autor Kim Stanley Robinson in der Eastern New Mexico Universität, der er auch nach 1977 als Gast-Leser treu geblieben war und der er 1982 seine umfassende SF-Bibliothek an Büchern, Magazinen und Manuskripten übergeben hatte.
Eine Vielzahl seiner Kurzgeschichten wurden in zahlreichen Story-Anthologien veröffentlicht, wie etwa The Early Williamson, 1975, Dreadful Sleep, 1977, The Best of Jack Williamson (Die besten Stories von Jack Williamson) 1978, Brother to Demons, Brother to Gods 1979, oder The Alien Intelligence, 1980.
Jack Wiliamson starb am 10. November 2006, in seinem 99. Lebensjahr an einem angemessenen Ort: im Arbeitszimmer seines Hauses in Portales, New Mexico.
Jack Williamson war der erste Schriftsteller, der bereits 1941 unter dem Titel Collision Orbit eine Geschichte über Anti- Materie veröffentlichte. Außerdem erfand er die Begriffe Terraforming (in Collision Orbit) und Genetic Engineering (in Dragon‘s Island).
Jack Williamson blieb als Schriftsteller fast acht Jahrzehnte präsent. Er folgte nie den großen Modetrends der Science-Fiction Literatur, und versuchte sich weder an der New Wave, noch am Cyberpunk. Er blieb der konventionellen, teilweise der Wissenschaft und den Naturgesetzen verpflichteten SF treu.
Anders als viele Kollegen, die Hard SF schrieben, vernachlässigte Williamson nie den menschlichen Faktor.
Quellen:
Jack Williamson von Fritz Fischer, Quarber Merkur 7/1965
Jack Williamson, Ein Portrait von Uwe Luserke, Andromeda SFCD, 97/1979 – 98/1979.
Futures Past 1928, Number 3 – September 1992
Vorwort von Frederik Pohl, Die besten Stories von Jack Williamson. Moewig 1980
Der Beitrag [LITERATURWISSEN]: Jack Williamson, Pionier der SF-Literatur, erschien am 21.12.2020 auf Kultplatz.net …