GASTBEITRAG VON HANS LANGSTEINER
Hans Langsteiner, freier Filmjournalist (u.a. Bühne), Schöpfer der legendären ORF-Radiosendung Synchron – Das Filmmagazin. Der gelernte Jurist ist eine Fundgrube filmischen und literarischen Wissens. Er hegt und pflegt Affinitäten zu etlichen Genres – neben der Science Fiction zum Beispiel auch Hammer-Filme und Italo-Western, zur Kriminalliteratur und Karl May. Und eben James Bond.
Das (c) copyright des Textes liegt ausschließlich bei Hans Langsteiner. Mit freundlicher Genehmigung.
Beiträge: Der einzig wahre James Bond / Robert Kraft, der Abenteurer / Dietmar Dath: Niegeschichte /
Über die deutsche Werkausgabe der Agententhriller von Ian Fleming
Es ist ein beliebtes Spiel unter Film- und Krimifreunden: Wer ist (oder war) der beste James Bond-Darsteller?
Damen entscheiden sich da meist für den charmanten Roger Moore, Herren bevorzugen den unverwüstlichen Sean Connery, doch auch Timothy Dalton und Pierce Brosnan haben ihre Fans. Über das einmalige Gastspiel George Lazenbys gehen fast alle schweigend hinweg (obwohl der Film einer der besten der ganzen Serie ist!) und der „Neue“, nämlich Daniel Craig, polarisiert die Bond-Freunde seit seinem ersten Auftritt in „Casino Royale“.
Dabei ist die Sache im Grunde ganz einfach: Kein einziger Bond-Darsteller hat den Doppelnull-Agenten so verkörpert, wie ihn sein Erfinder Ian Fleming ge- und beschrieben hat. James Bond 007 ist nämlich kein Guter!
Soll heißen: Der Bond der Bücher hat im Grunde nichts anheimelnd Sympathisches an sich. Er verfügt, anders als die Film-Bonds, kaum über Charme, übt seinen Job kalt und effizient aus, kennt dabei durchaus Zweifel und Todesangst und gerät in jedem einzelnen Roman an den Rand physischer Vernichtung. Sein Äußeres wird gleich im ersten Bond-Roman, „Casino Royale“, beschrieben, und zwar so:
„Während er seine schwarze Satinkrawatte band, hielt er einen Moment lang inne und betrachtete sein Spiegelbild. Seine graublauen Augen blickten mit einem Hauch Ironie zurück, und eine Locke seines widerspenstigen schwarzen Haars bildete ein dickes Komma über seiner rechten Augenbraue. Mit der schmalen vertikalen Narbe auf seiner rechten Wange ließ ihn das entfernt wie einen Piraten wirken“ („Casino Royale“ Seite 039). Und, noch beredter: „Dann schlief er ein und ohne die Wärme und den Humor in seinen Augen verwandelte sich sein Gesicht in eine unbewegte Maske eiskalter Brutalität“ („Casino Royale“ Seite 013).
„Eiskalte Brutalität“? Bei Herrn Roger Moore schwer vorstellbar, bei Daniel Craig (trotz anderer Haarfarbe) schon viel eher. Aber lassen wir jetzt die Filme, hier soll es ja um die Romane gehen, und zwar nur um die zwölf Romane und neun Erzählungen, die der 1964 verstorbene Ian Fleming selbst verfasst hat.
Dass es inzwischen fast so viele nicht von Fleming geschriebene Bond-Romane gibt wie Sherlock-Holmes-Geschichten, an denen Sir Arthur Conan Doyle keinen Anteil hat, soll uns hier nicht weiter beschäftigen (ein paar von diesen „Pseudo-Bonds“ sind gar nicht übel, aber an Fleming kommen sie nicht heran).
Das muss man nicht unbesehen glauben, das lässt sich jetzt auch direkt nachprüfen. Und zwar streng genommen zum ersten Mal, denn obwohl die Bond-Romane Flemings schon Anfang der 1960erjahre ins Deutsche übersetzt wurden, liegen Flemings Texte erst seit wenigen Jahren in deutscher Version so vor, wie sie der Autor geschrieben hat.
Die verlegerische Großtat ist dem kleinen, sonst auf Comics und Star-Trek-Bücher spezialsierten Verlag Cross-Cult zu verdanken, der sämtliche Fleming-Romane in eigenwillig aufgemachten Taschenbüchern neu übersetzt herausgebracht hat. Wie dringend diese Edition jedem Interessierten zu empfehlen ist, zeigt schon der allerflüchtigste Augenschein.
In ihrer bisherigen Form, sprich: in den im Scherz-Verlag erschienenen Ausgaben waren die meisten Bond-Romane drastisch gekürzt gewesen; oft fehlte bis zu einem geschätzten Fünftel des Textes. Hatte etwa der Roman „Goldfinger“ in seiner ersten deutschen Veröffentlichung („007 James Bond contra Goldfinger“, Scherz Verlag) noch 192 Seiten, so sind es jetzt bei Cross-Cult – zugegeben bei etwas geändertem Satzspiegel und größerem Druck – sage und schreibe 393 Seiten, also annähernd doppelt so viele.
Gleich zu Beginn des Romans fehlt in der alten Übersetzung ein kompletter Absatz. Bond sitzt da im Flughafen von Miami und denkt über einen Mexikaner nach, den er liquidiert hatte.
In der alten Übersetzung heißt es:
„(…) Gewiss, er war fällig gewesen. Aber als Bond ihn vor kaum vierundzwanzig Stunden erledigt hatte, war dieses Leben so rasch, so gründlich aus dem Körper gewichen, dass Bond zu sehen meinte, wie es dem Mund entflog, als Vogel, wie in den Märchen auf Haiti. Bonds rechte Handkante, jetzt noch rot und geschwollen, würde bald blau werden“ („007 James Bond contra Goldfinger“ Seite 5).
Und jetzt die gleiche Passage in der ungekürzten Neuübersetzung:
„Ja, es war eindeutig Zeit für seinen Tod gewesen, doch als Bond ihn vor weniger als vierundzwanzig Stunden getötet hatte, war das Leben so schnell und endgültig aus seinem Körper gewichen, dass Bond es fast in der Form eines Vogels aus seinem Mund hatte fliegen sehen, wie es der Volksglaube auf Haiti beschrieb. Der Unterschied zwischen einem Körper mit einer Seele und einem leeren war bemerkenswert. In einem Moment war jemand da, im nächsten war er fort. Dieser Mann war ein Mexikaner mit einem Namen und einer Adresse gewesen, einer Arbeitsgenehmigung und vielleicht auch einem Führerschein. Dann war etwas aus seinem Körper gewichen, aus dieser Hülle aus Fleisch und billiger Kleidung, und zurückgeblieben war nur eine leere Papiertüte, die darauf wartete, vom Müllwagen eingesammelt zu werden. Und der Unterschied, das Ding, das den Körper des stinkenden mexikanischen Banditen verlassen hatte, war größer als ganz Mexiko gewesen. Bond schaute auf die Waffe hinab, die es getan hatte. Die Kante seiner Hand war rot und geschwollen. Schon bald würde sich ein Bluterguss bilden“ („Goldfinger“ Seite 009).
Es sind genau solche Passagen, in denen Bond über die Wirkung seiner Handlungen nachdenkt, die die Figur charakterisieren und ihr Tiefe verleihen. Die Querverbindung zwischen dem getöteten Mann und Bonds Hand(kante) („die Waffe, die es getan hatte“) wird nur in der neuen Version klar. Auch den (nicht nur hier) deutlich anklingenden Rassismus („stinkender mexikanischer Bandit“) hatte man einst weggekürzt, doch der gehört untrennbar zum Zeitgeist dieser im Kalten Krieg entstandenen Romane. Dass man früher auch manche sexuelle Deutlichkeit diskret unter den Tisch fallen ließ, belegt ein weiterer Vergleich, diesmal vom Schluss des selben Buches. Bond liegt mit einer Eroberung im Bett.
In der alten Version hieß es da lediglich:
Bond lächelte in das blasse, schöne Gesicht. „Weißt du, was du brauchst? Eine Kur bei mir.“ „Das wär’ schön!“ Sie blickte auf den leidenschaftlichen, eher grausamen Mund, der über dem ihren wartete, langte hinauf und strich die schwarze Haarsträhne zurück, die Bond ins Gesicht hing. Ihre Blicke trafen sich. „Und wann fängst du damit an?“ Bonds Rechte glitt langsam über ihre festen, muskulösen Schenkel und den zarten, schlanken Leib hinauf. Leise sagte er: „Jetzt“ (Seite 192).
In der Neuübersetzung geht es da schon mehr ins Detail:
Bond sah in das blasse, wunderschöne Gesicht. „Ich weiß genau, was du brauchst.“ „Und was soll das sein?“ „Liebevolle Pflege. Genau das schreiben sie immer in den Akten, wenn irgendwo ein vernachlässigtes Kind in ein Waisenhaus gebracht wird.“ „Das gefällt mir.“ Sie betrachtete den sinnlichen, leicht grausamen Mund über ihrem. Dann strich sie die widerspenstige schwarze Haarsträhne zurück, die ihm über die rechte Augenbraue gefallen war und blickte in die leicht zusammengekniffenen grauen Augen. „Wann fängst du damit an?“ Bonds rechte Hand glitt langsam über die festen muskulösen Oberschenkel und den flachen weichen Bauch zum ihrer rechten Brust. Die Brustwarze war steif vor Verlangen. „Genau jetzt“, flüsterte er und senkte seine Lippen leidenschaftlich auf ihre“ (Seite 393).
Es sind nicht nur solche erotischen Details, die früher fehlten. Auch Politisches hatte man zensuriert. Dass Sir Hugo Drax, der Schurke in Flemings „Moonraker“ eine veritable Nazi-Vergangenheit hatte, konnte man in der alten deutschen Übersetzung („Mondblitz“, Phoenix Schocker im Scherz Verlag) nur erahnen; jetzt lassen sich Drax’s Untaten im Zweiten Weltkrieg in all ihrer finsteren Faszination auch auf deutsch nachlesen.
Ich will nicht sagen, dass nicht auch die alte Übersetzung ihre Qualitäten hatte. Sie stammt immerhin vom angesehenen Wiener Übersetzer Friedrich Polakovics, der seinerzeit Seite an Seite mit Arno Schmidt Edgar Allan Poe ins Deutsche übertrug. Manche seiner Formulierungen sind in der Tat knapper und eleganter als die jetzige Version, die bisweilen unbeholfen am englischen Original klebt.
Doch unter dem Strich gibt es keine Alternative: Wer Ian Flemings Bond-Romane authentisch auf deutsch lesen will, muss zu den Cross-Cult-Büchern greifen. Dort lernt er den einzig wahren James Bond kennen.
Die Neuausgaben von Cross Cult:
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— For Your Eyes Only; 1960 / 007 James Bond greift ein aka In tödlicher Mission … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
- For Your Eyes Only / Für Sie persönlich aka In tödlicher Mission
- Quantum of Solace / Das Minimum an Trost aka Ein Minium an Trost aka Ein Quantum Trost
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— Thunderball; 1961 / James Bond und das Unternehmen Feuerball aka Operation Feuerball aka Sag niemals nie aka Sag niemals nie oder Aktion Feuerball aka Feuerball … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
— The Spy who Loved Me; 1962 / Der Spion, der mich liebte … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
— On Her Majesty’s Secret Service; 1963 / Im Dienst ihrer Majestät aka James Bond und sein gefährtlichster Auftrag aka Im Geheimdienst ihrer Majestät … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
— You only Live Twice; 1964 / 007 James Bond reitet den Tiger aka Man lebt nur zweimal … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
— The Man with the golden Gun; 1965 / 007 James Bond und der Mann mit dem goldenen Colt aka Der goldene Colt aka Der Mann mit dem goldenen Colt … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
— Octopussy (and the Living Daylights); 1966 / Octopussy und andere riskante Geschäfte aka Octopussy … als Taschenbuch und Kindle Edition bei Amazon …
- Octopussy / Der stumme Zeuge aka Octopussy
- The Living Daylights; 1962 / Duell mit doppeltem Einsatz aka Der Hauch des Todes
- The Property of a Lady; 1963 / Globus – meistbietend zu versteigern aka Die Vorzüge einer Frau
- 007 in New York; 1963 / 007 in New York
GESAMTBOX mit sämtlichen Bond-Romanen von Ian Fleming … 14 Taschenbücher im Schuber und Kindle Edition bei Amazon …
Cross Cult hat auch weitere Romane aus der Bond-Reihe, die von anderen Autoren stammen, übersetzt. Der Verlag führt diese Reihe aktuell auch weiter, mit etwas anderer, ebenfalls sehr ansprechender Covergestaltung. Die Cover der Fleming-Romane wurden von der aktuellen Fleming-Edition des Penguin Verlags (in Teilen) übernommen.
Diese weiteren gibt es ab sofort eine Übersicht über die Bond-Romane in ihrer Gesamtheit …
Zitierte Text-Passagen, Buchcover, Bond-Logo – alle (c) Cross Cult Verlag.
Der Beitrag [LITERATURWISSEN]: Der einzig wahre James Bond erschien am 03.12.2017 erstmals auf Kultplatz.net …
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