INHALT: Die Schreie einer Frau sind Musik in seinen Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Denn wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.
BUCH: Thomas Harris: Cari Mora [Rezension] … Hardcover & Kindle Edition .. bei Amazon … Originaltitel: Cari Mora; 2019; Seiten: 336; Übersetzung: Imke Walsh-Araya
REZENSION: Zwölf Jahre sind seit dem letzen Roman von Thomas Harris vergangen. Darüber hinaus ist Cari Mora seit Schwarzer Sonntag von 1975 (!) der erste Roman von Harris, der sich nicht Hannibal Lecter widmet. Das ist eine verdammt lange Zeit. Die ersten Seiten des Buches zu lesen war pure Ekstase. Der merkwürdige Stil von Harris, der sprachlich verknappt und fast uneben und uneinheitlich immer wieder Wörter findet, die sehr starke Bilder hervorrufen. Eine gewisse Intensität, die sehr schnell um Cari Mora fürchten lassen. Ich habe mit großer Freude begonnen, das Buch zu lesen, hatte mich doch der letzte Roman davor, Hannibal Rising (das Prequel zu Schweigen der Lämmer), doch eher enttäuscht.
Die Geschichte klingt spannend, die Idee, quasi Teile aus dem Nachlass von Pablo Escobar zum McGuffin zu machen – also zu dem Element, das die ganze Handlung überhaupt erst in Bewegung bringt – hat Witz. Das haarlose Monster Hans-Peter Schneider ist eine großer Entwurf, flüchtig angerissen, gerade genügend charakterisiert, um ihn abscheulich zu finden. Cari Mora selbst ist eine sehr sympathische Figur, schweigsam, mit ungeahntem Potenzial. Alles da, um ein haarsträubend spannendes Buch hervorzubringen.
Also, was ist Cari Mora, wenn die besten Voraussetzungen gegeben sind? Seufz. Es ist ein gescheiterter Thriller. Eine schmerzhafte Enttäuschung. Cari Mora ist ein Roman, der völlig den Überblick über seine Geschichte verloren hat, zu einem derart abrupten und beiläufigen Ende kommt, dass man als Leser nicht weiß, ob man frustriert das Buch ins Eck ballern soll, oder bitterlich weinen über dieses verschenkte Potenzial.
Cari Mora ist grausam unfokussiert. Die Handlung kann sich nicht entscheiden, will sie dem Escobar-Teil folgen oder will sie dem Duell Schneider/Cari Mora folgen. Und so kommt beides viel zu kurz, der Fokus liegt jedoch auf Escobar. Beides angerissen, beides holprig miteinander verknüpft und das Monster Schneider – eigentlich ein sadistischer Waschlappen und Trottel, der mehr Glück als Verstand hatte.
Ein Thriller darf viele Fehler begehen, ohne dass es der Spannung schadet. Was allerdings nicht der Fall sein darf, unter gar keinen Umständen, ist, den Antagonisten, das Böse, zum Witz zu degradieren. Und genau das hat Harris meiner Meinung nach getan. Er wollte das Monstrum menschlich gestalten und irgendwie ist die Figur zum kranken Scherz geraten. Wir erfahren nicht genug über ihn. Er ist zur absluten Nemesis hochstilisiert, kommt aber nie dazu, sein Bedrohungspotenzial zu zeigen. Das einzige Element des Buches, das in dieser Form funktioniert, ist Cari Mora und über diese Frau erfahren wir viel zu wenig. Sie ist beinahe die Nebenfigur, so wie Schneider.
Um sexuelle Analogien zu verwenden: Hans-Peter Schneider ist das Versprechen eines Orgasmus, den es nie gibt. Cari Mora ist ein Quickie, der zwar Erleichterung verschafft, aber nicht wirklich befriedigt.
Cari Mora ist ein grobes Vorspiel, dem kein Fick folgt.
Es ist, als hätte Thomas Harris einen Action-Thriller um Drogengold, um illegale Einwanderer, um sadistische Brutalität geschrieben, um dann nachträglich gezwungen gewesen zu sein, Kapitel davon zu entfernen, um sie durch das Duell eines abartigen Serienkillers mit einer taffen Frau zu ersetzen. In Cari Mora stecken zwei Romane, die beide den doppelten Umfang gebraucht hätten, um zur Geltung zu kommen.
Cari Mora ähnelt sehr stark dem Roman Hannibal von Harris, dem Buch, in dem die Blutsuppe und das Gedärm nur so herumschwappen, in dem aus Clarice Starling und Hannibal Lecter ein derart eigenwilliges Ende erleben (anders als im Film), dass es einen richtigen what-the-fuck Effekt hat. Auch sehr knapp und “wortkarg” geschrieben, verkürzte Sätze mit starken Bildern und Eindrücken. Cari Mora ist ähnlich, nur ein paar Stufen … schlechter. Hans-Peter Schneider ist eine beschissene Figur, schlicht und ergreifen. Cari Mora hat damit keinen Widerpart und die Spannung löst sich ins Nichts auf. Frustrierend.
Harris ist ein großartiger Autor. Roter Drache und Das Schweigen der Lämmer zeigen das deutlich. Er weiß, wie man einen Thriller mit faszinierenden Figuren erschafft. Auch Hannibal ist ein toller Roman. Als erster Roman eines Autors wäre Cari Mora ein vielversprechendes Debüt. Als Roman Nr. 6 von Thomas Harris ist das Buch dann doch eher eine Enttäuschung.
Thomas Harris hat in etwa dasselbe Schreibtempo wie George R.R. Martin, also besteht vielleicht noch die Chance auf einen Roman. Auf den werde ich nicht minder begierig warten wie es bei Cari Mora der Fall war. Verdammt, das ist schließlich Thomas Harris! Aber meine Güte, Cari Mora ist ein misslungener Thriller!
Zusammenfassung:
- Anspruch/Stil: *** wortkark und bildstark
- Gewalt/Gore: ** dezent mit heftigen Ausbrüchen
- Sex/Perversion: * nicht wirklich vorhanden
- Unterhaltungwert: *** bescheiden
- Gesamteindruck: ** enttäuschend
Fazit: Ein Meisterautor fährt einen Roman an die Wand. Brutal.
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Der Beitrag [REZENSION]: Thomas Harris: Cari Mora erschien am 02.06.2019 auf Kultplatz.net …
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